Wiesbaden, 26. Juni 2025 – Vor einem Jahr eröffnete das Museum Reinhard Ernst (mre) in Wiesbaden. Der kühne Bau an der Wilhelmstraße 1, dessen kantige, strahlendweiße Granitfassade ihm bei der Bevölkerung den Spitznamen „Zuckerwürfel“ eingetragen hat, ist das erste und einzige Kunstmuseum des bedeutenden Architekten Fumihiko Maki in Europa.
Auf der Pressekonferenz anlässlich des einjährigen Bestehens des mre zogen der Museumsstifter Reinhard Ernst und Gründungsdirektor Dr. Oliver Kornhoff eine erste Bilanz: Seit seiner Eröffnung im Juni 2024 haben mehr als 167.000 Kunst- und Architekturbegeisterte das mre besucht, davon 15.500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. 48.500 Menschen haben in den vergangenen zwölf Monaten an den Vermittlungsformaten des mre teilgenommen, davon 11.400 Kinder und Jugendliche. Der Vormittag im mre ist ausschließlich Schulen- und Bildungsinstitutionen vorbehalten – 580 Schulklassen haben dieses Angebot seit der Eröffnung des Museums genutzt. Für Erwachsene wurden in diesem Zeitraum insgesamt 1.750 private und öffentliche Vermittlungsformate angeboten. Die Museumsbesucher:innen reisten von nah und fern nach Wiesbaden; die längste Anreise hatten Interessierte aus USA, Asien, Australien und Neuseeland. Aus dem europäischen Ausland kamen die meisten Besucher:innen aus der Schweiz, Frankreich, Niederlande und Österreich.
Reinhard Ernst, Kunstsammler und Museumsgründer: „Meine Frau und mich erfüllt es mit großer Freude zu sehen, wie gut das mre vom ersten Tag an angenommen wurde. Was mir besonders auffällt ist, wie gerne Kinder das Museum besuchen. Die Beschäftigung mit Kunst kann nicht früh genug beginnen − und gerade in abstrakten Werken zeigt sich, wie einfallsreich und kreativ Künstler:innen sind und immer schon waren. Ich wünsche mir, dass wir die Kreativität bei Kindern wecken, und dass sie Teil ihres Lebens wird.“
Museumsdirektor Dr. Oliver Kornhoff führte aus: „Der Sammlungsschwerpunkt des mre liegt auf Malerei, und mit über 50 Werken von Helen Frankenthaler hat Reinhard Ernst die größte Privatsammlung der US-Amerikanerin zusammengetragen. Frankenthaler ist sozusagen unsere Signature-Künstlerin. Sie ist eine der wichtigsten abstrakten Malerinnen. So ist es folgerichtig, dass wir sie in diesem Jahr mit gleich zwei Ausstellungen feiern. In Helen Frankenthaler moves – Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess (26.10.2025-22.02.2026) bringen wir sie mit zeitgenössischen Positionen in Dialog. Damit profilieren wir das mre als Ort für junge abstrakte Malerei und als europäischen Kompetenzort für Helen Frankenthaler.“
Kuratorin Lea Schäfer gab einen Ausblick auf die kommenden Ausstellungen: „In der Ausstellung Helen Frankenthaler moves treten Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess in eine lebendige Auseinandersetzung mit Frankenthaler-Arbeiten aus der Sammlung Reinhard Ernst, die zum Teil noch nicht gezeigt wurden. In sämtlichen Räumen bleibt Frankenthaler als zentraler Bezugspunkt sichtbar – sei es durch formale Übereinstimmungen, thematische Anknüpfungen oder direkte Gegenüberstellungen. In einem Ausstellungsbereich begegnen sich schließlich alle vier Positionen in einem gemeinsamen Spannungsfeld.“
Jenny Brosinski (*1984, Berlin) reagiert in großformatigen Leinwänden mit radikaler Reduktion auf die Bildtradition des Abstrakten Expressionismus. Wie Frankenthaler arbeitet sie auf ungrundiertem Gewebe. Ihre spontane, rohe Malweise entfaltet eine Leichtigkeit und Offenheit, die das expressive Moment neu definiert. Ina Gerken (*1987, Düsseldorf) verbindet in ihren Arbeiten fein abgestimmte Farbschichtungen, die an landschaftliche Stimmungen erinnern. Während ihres Aufenthaltsprogramms im Frankenthaler-Studios an der Skowhegan School of Painting & Sculpture in Maine (USA) setzte sie sich intensiv mit Frankenthalers malerischen Prozess auseinander – diese Nähe ist in Gerkens sensibler Farb- und Bildauffassung spürbar. Adrian Schiess (*1959, Le Locle/Zürich) zeigt irisierende, farbintensive Bodenplatten, deren entpersönlichte Oberflächen die Grenzen des klassischen Tafelbilds hinterfragen. Seine Arbeitsweise, die auf Handschrift verzichtet, knüpft an Frankenthalers offene Malprozesse an und erweitert sie in den Raum.
Die Ausstellung Helen Frankenthaler moves zeigt eindrücklich, wie Frankenthalers Pionierarbeit auch heute noch nachwirkt – als Inspiration, Kontrast oder konzeptioneller Ausgangspunkt aktueller künstlerischer Auseinandersetzungen. Bitte hier klicken für weitere Informationen zur Ausstellung.
Im Frühjahr 2026 wird das Museum Reinhard Ernst die erste umfassende museale Einzelausstellung des österreichischen Malers Wolfgang Hollegha (1929–2023) in Deutschland zeigen. Sie entsteht in Kooperation mit dem Kurator Günther Holler-Schuster der Neuen Galerie Graz. Hollegha wurde 1959 von Clement Greenberg nach Amerika eingeladen. In Einzel- und Gruppenausstellungen zeigte er dort seine Großformate und fand sich plötzlich in Gesellschaft von Maler:innen wie Morris Louis, Helen Frankenthaler, Kenneth Noland, Jules Olitski oder Barnett Newman wieder. Greenberg, genauso wie die Maler Louis und Noland, waren von der Großzügigkeit und Selbstständigkeit der Geste bei Hollegha begeistert.
Im Juni 2026 wird die zweite Präsentation der Sammlung Reinhard Ernst eröffnet. Drei Monate nach Eröffnung der Hollegha-Ausstellung werden zwei weitere Gemälde des Malers gezeigt, um seine Künstlerfreundschaften und seine Erfolge in den USA mit Werken der Sammlung zu kontextualisieren. Ein anderer Schwerpunkt der neuen Sammlungspräsentation wird die geometrische Abstraktion sein, mit Werken von Wojciech Fangor, Victor Vasarely, Murai Masanari, Kenneth Noland, Frank Stella u.a. Ein Ausstellungsraum wird Helen Frankenthaler im Dialog mit starken Arbeiten von Pat Steir und Martha Jungwirth gewidmet sein, die in ihrer Abstraktion um das Thema Landschaft kreisen.
Auf eine besondere Ausstellung und Kooperation können sich Wiesbadener:innen im Herbst 2026 freuen: Unter dem Titel Judit Reigl und Couleur vivante widmet das mre der ungarisch-französischen Künstlerin eine Ausstellung. Judit Reigl war als einzige Künstlerin in der Ausstellung Lebendige Farbe – Couleur vivante vertreten, die 1957 im städtischen Museum Wiesbaden stattfand. Die Schau war die erste große museale Präsentation informeller Malerei in Deutschland und vereinte 16 künstlerische Positionen, je acht aus Frankreich und Deutschland. Sie war ein Coup im Nachkriegsdeutschland und etablierte Wiesbaden als Ort für Gegenwartskunst.
Das Museum Reinhard Ernst plant eine Ausstellung, die die historische Schau in Teilen rekonstruiert und den genius loci der Stadt Wiesbaden würdigt. Sie macht die Bandbreite und die lebensbejahende Neuheit der abstrakten Malerei der 1950er Jahre nachvollziehbar. Das Werk von Judit Reigl wird dabei im Fokus stehen, darunter sieben Werke aus der Sammlung Reinhard Ernst.
Judit Reigl wurde 1923 im ungarischen Kapuvár geboren und verstarb 2020 in Marcoussis, im Großraum Paris. Nach einer Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest, gelang ihr 1950 die Flucht aus Ungarn, nach acht missglückten Versuchen und einer dreimonatigen Reise nach Paris, die sie teilweise zu Fuß zurücklegte. Auf eine vom Surrealismus geprägte Schaffensphase folgte das Experimentieren mit neuen Techniken und selbst entworfenen Werkzeugen, seit Beginn der 1950er Jahre wandte sie sich der Abstraktion zu.
Anlässlich des 70. Jahrestages der Ausstellung Couleur vivante würdigen das Museum Reinhard Ernst, das Museum Wiesbaden – Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur und der Nassauische Kunstverein gemeinsam diese künstlerische Wiesbadener Sternstunde. Alle drei Nachbarn werden auf die Ausstellung Bezug nehmen, jedoch entschieden eigene Akzente setzen.
Dr. Andreas Henning, Direktor des Museum Wiesbaden: „Die enge Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern ist seit jeher ein zentraler Aspekt der Sammlungsentwicklung und Ausstellungsgestaltung des Museums Wiesbaden. So auch die Freundschaft des langjährigen Museumsdirektors Clemens Weiler zu Bernard Schultze und Ursula Schultze-Bluhm. Dieser widmet sich das Museum Wiesbaden in einer konzentrierten Präsentation im Kontext des Kosmos von Couleur vivante. Wir freuen uns, dass wir mit dieser nachbarschaftlichen Kooperation gemeinsam einen neuen Blick auf die vor siebzig Jahren bahnbrechende Ausstellung des damals städtischen Museums Wiesbaden werfen.“
Lotte Dinse, Direktorin des Nassauischen Kunstvereins: „Der Nassauische Kunstverein Wiesbaden stellt zum Jubiläum von Couleur vivante junge, internationale Positionen vor, die Farbe als Handlung und Medium der Interaktion begreifen und sichtbar machen. Die Arbeiten überschreiten bewusst die Grenzen der abstrakten Malerei – hin zu installativen, performativen oder digitalen Ausdrucksformen. Manche verknüpfen Farbe mit persönlichen Erfahrungen, andere erforschen ihre gesellschaftliche, soziale oder körperliche Wirkkraft. So aktualisieren wir den visionären Impuls von 1957 und bringen ihn gemeinsam mit dem Museum Reinhard Ernst und dem Museum Wiesbaden in einen vielstimmigen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Color is a verb!“
Die enge Nachbarschaft der drei Kunstinstitutionen wird auf einer weiteren Ebene vertieft: Ab dem 1. August 2025 erhalten die Mitarbeiter:innen des Museum Reinhard Ernst, des Museum Wiesbaden und des Nassauischen Kunstvereins in den jeweils anderen Häusern freien Eintritt. Zudem erhalten die Mitglieder des Freundeskreises des Museum Wiesbaden und die Mitglieder des Nassauischen Kunstvereines ermäßigten Eintritt ins Museum Reinhard Ernst. Die Inhaber:innen einer mre-Jahreskarte erhalten ermäßigten Eintritt in den Nassauischen Kunstverein und ins Museum Wiesbaden.